17
Nur ein paar Stunden nach Beginn der Nachtpatrouille registrierte Kade den Geruch von frischem menschlichem Blut.
„In dieser Gasse“, sagte er zu Brock und Chase, die beide stumm und zustimmend nickten.
Die drei Krieger setzten sich zusammen in Bewegung. Verstohlen, die Waffen gezückt und schussbereit, tauchten sie tiefer ein in die unbeleuchtete Gasse zwischen zwei alten Klinkergebäuden in einem heruntergekommenen Viertel der Stadt. Auf dem schmalen Asphaltstreifen stank es nach menschlichen Fäkalien und faulenden Abfällen, doch nichts davon konnte den kupfrigen Blutgeruch überdecken, der hinter einem maroden Müllcontainer hervordrang.
Kade hatte den Toten zuerst erreicht. Dieses Mal war es eine junge Frau, genauso bestialisch zugerichtet wie der Mann, den er und Brock in der letzten Nacht gefunden hatten.
Und dieses Mal hatte der Vampir, der ihr den Hals zerfetzt hatte, auch noch etwas anderes gewollt. Ihr kurzer Rock war an der Vorderseite zerrissen und blutgetränkt. Ihre hellrosa lackierten Fingernägel waren abgebrochen, ihre Knie aufgeschürft, als hätte sie noch versucht, ihrem Mörder zu entkommen.
„Scheiße“, murmelte Brock leise. „Dieses Mädchen ist die Tochter von jemandem. Vielleicht die Schwester von jemandem. Was für ein verdammtes Tier würde so was...“
Chase hob abrupt die Faust, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er zeigte zu den Flachdächern über ihren Köpfen. Dort oben war jemand. Das Knirschen von Schritten war in der Stille der klaren Herbstnacht bis hinunter in die Gasse zu hören.
War es Hunter?
Diese neue Leiche schien zu seinem Freizeitprofil zu passen.
„Ich geh rauf.“ Chase formte die Worte lautlos mit den Lippen.
„Nicht ohne Rückendeckung“, erwiderte Kade, doch der ehemalige Agent war schon auf dem Weg.
Er steckte seine Waffe ins Holster, sprang geräuschlos auf den Müllcontainer und von dort aus auf das untere Ende einer schwarzen Feuertreppe an der Hauswand. Praktisch geräuschlos erklomm er die wackligen eisernen Stufen, dann machte er einen Satz aufs Dach.
In dem Moment, als Chase außer Sichtweite kam, ertönte Maschinengewehrfeuer.
„Ach Scheiße“, zischte Brock. „Der unvorsichtige Idiot. Du nimmst die Treppe im Haus, ich geh ihm über die Feuertreppe nach.“
Auf unterschiedlichen Wegen brachen sie zum Dach auf, beide waren binnen Sekunden dort.
Chase lag in einer Blutlache, er blutete aus einer üblen Wunde an der Brust. Er war schwer getroffen, atmete aber noch.
„Der Mistkerl“, sagte Kade, als er an die Seite des verletzten Kriegers eilte.
„War's... nicht“, stöhnte Chase und verzog vor Anstrengung das Gesicht. „Nicht Hunter...“
„Was meinst du, nicht Hunter?“, fragte Kade. „Wer dann zur Hölle...“
Wieder zerriss eine Salve die Dunkelheit; von wo aus geschossen wurde, war nicht zu erkennen. Metall schwirrte. Ziegel zersplitterten.
Kade und Brock erwiderten das Feuer, schossen auf die Stelle, wo sie den Angreifer vermuteten, sahen dort aber nichts, worauf sie zielen konnten. Noch mehr Kugeln kamen geflogen.
Plötzlich schrie Brock vor Schmerz auf. „Scheiße!
Ich bin getroffen.“
„Verdammt“, fauchte Kade und sah zu ihm hinüber, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, dass der riesige schwarze Krieger in den Oberarm getroffen worden war. Es war eine Wunde, die ihn behinderte, aber nicht tödlich war. Chase dagegen... Scheiße, den hatte es wirklich übel erwischt.
Wut über die Verwundungen seiner Brüder toste durch Kades Venen, und er feuerte eine höllische Salve ab. Er registrierte eine schnelle Bewegung - etwas Dunkles in der Dunkelheit - und sah ihren Angreifer auf das Dach des angrenzenden Gebäudes .springen.
„Der Ficker haut ab. Den kauf ich mir.“
Er überließ es Brock, Chase Deckung zu geben, und heftete sich dem riesigen Vampir an die Fersen, der wie eine Katze von Gebäude zu Gebäude sprang.
Im Unterschied zu seiner Beute war Kade kein Gen Eins und verfügte nicht über dieselbe Geschwindigkeit, aber dafür war er zu allem entschlossen. Er blieb ihm auf den Fersen, bahnte sich einen Weg um diverse Lüftungssysteme, Zugangstüren, herumliegende Rohre, Werkzeuge und all den anderen Kram, der irgendwie auf den Dächern von Boston liegen geblieben war.
Gerade als er begann, den Mistkerl einzuholen, sah er aus den Augenwinkeln, dass noch mehr Ärger im Anmarsch war. Auf einem Dach in der Ferne erschien ein weiterer schwarz gekleideter Gen Eins, auch dieser mit automatischer Waffe. Wenn die sich jetzt mit Dauerfeuer zu zweit auf ihn stürzten, war die Kacke echt am Dampfen.
Aber der zweite Gen Eins schoss nicht auf ihn. Er eröffnete das Feuer auf Kades fliehende Beute. Es gab einen schrecklichen Lärm, als das Mündungsfeuer beider Pistolen in der Nacht aufblitzte.
Kade stand auf dem angrenzenden Dach und sah verblüfft zu, wie der Zweikampf auf der anderen Seite von einem Feuergefecht in einen tödlichem Nahkampf überging.
Es war ein wilder Kampf. Knochen brachen, Fleisch riss, und als die Schlacht immer verbissener wurde, zerrissen Geräusche, die nichts Menschliches mehr hatten, die Luft.
Kade hielt die eigene Waffe schussbereit gezückt, aber im Handgemenge konnte er nicht sicher sein, welchen der beiden Vampire er treffen würde.
Schließlich bekam einer die Überhand über den anderen. Er stieß den Kopf seines Gegners auf die betonierte Dachfläche hinunter, dann packte er etwas, das wie ein Stück Rohr aussah, und hob es hoch über den Kopf. Mit einem wütenden Aufbrüllen schmetterte der Gen Eins das Rohr wie einen Höllenhammer abwärts.
Ein scharfes metallisches Klirren ertönte, und dann schoss ein blendender Blitz von reinem weißem Licht in die Dunkelheit hinauf.
Kade warf sich platt auf den Boden. Sein Instinkt riet ihm, unten zu bleiben, bis der blendende Strahl einen Augenblick später wieder erloschen war.
Sobald es wieder dunkel war, setzte er sich auf. Auf dem anderen Dach machte der siegreiche Gen Eins sich ebenfalls daran, wieder aufzustehen. Obwohl seine Muskeln und sein gesunder Menschenverstand ihm rieten zu bleiben, wo er war, packte Kade seine Waffe und sprang auf das andere Gebäude hinüber, um ihn zur Rede zu stellen.
Er näherte sich vorsichtig, den Finger am Abzug, bereit, den Bastard voll Blei zu pumpen. Als er näher kam, erhaschte er einen Blick auf den toten Gen Eins.
Sein Kopf war sauber vom Körper abgetrennt.
Brandwunden, die immer noch zischten, bildeten einen perfekten Kreis um seinen Hals. Und der war überzogen von den vertrauten Dermaglyphen, die Kade an dem Vampir entdeckt hatte, mit dem er letzte Nacht zusammengestoßen war.
Neben der rauchenden Leiche auf dem Boden lag ein verbeultes schwarzes Halsband, an dem ein elektronisches Gerät befestigt war. Eine kleine LED-Anzeige blinkte noch ein paarmal rot und wurde dann dunkel.
Kade spähte auf das Gesicht des toten Vampirs hinunter und fluchte leise. Denn Chase hatte recht. Es war nicht Hunter.
Er sah ihm ähnlich wie ein Verwandter - sie hätten sogar Brüder sein können. Doch es war nicht der Gen-Eins-Killer, der vor einigen Wochen zum Orden gestoßen war.
Nein, es war Hunter, der jetzt aufstand und zu Kade herüberkam. Er warf einen leidenschaftslosen Blick auf den grauenvoll zugerichteten Vampir, den er gerade ins Jenseits befördert hatte und der ihm genetisch offenbar sehr nahestand. Er bückte sich und hob das seltsame Halsband aus einer Blutlache.
„Als ich Dragos das letzte Mal gesehen habe, sagte er, dass es noch andere wie mich gibt“, sagte Hunter ausdruckslos. „Diesen hier habe ich die letzten drei Nächte in der Stadt verfolgt. Er ist nicht allein. Und es sind mehr auf dem Weg. Sie werden bald hier sein.“
Kade fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Dem hast du's ganz schön gegeben, Sonnenschein.“
Hunter drehte den Kopf und starrte ihn an, ohne zu antworten.
„Komm“, sagte Kade. „Sehen wir nach den anderen und melden die Sache im Hauptquartier.“
Er wollte nicht, dass ihr gemeinsamer Abend jemals zu Ende ging. Der Bummel in Newport hatte ihm gefallen, schon allein deshalb, weil Claires Miene sich aufgehellt hatte, als sie ihm all die Orte zeigte, die sie als junge Frau gekannt hatte und die ihr offenbar immer noch viel bedeuteten. Ihr Zuhause war hier, nicht in Deutschland. Sie gehörte hierher, wo die salzige Brise und das frische Herbstwetter von Neuengland einen tiefen Rotton auf ihre Wangen zauberten.
Reichen konnte sich nicht vorstellen, dass sie nach Deutschland zurückkehrte. Er wusste nicht, was die kommenden Tage oder Wochen bringen würden, egal, wie lange er brauchen würde, Wilhelm Roth zu finden und seiner Existenz ein Ende zu setzen. Er wusste nicht einmal, ob er selbst noch am Leben sein würde, sobald der Rauch sich gelegt hatte. Aber eins wusste er: Die Zeit, die er jetzt mit Claire verbrachte, diese unerwartete und viel zu kurze Wiedervereinigung, die sie nun erlebten, würden immer die kostbarsten Stunden seines Lebens sein.
Und wenn er seinen letzten Kampf mit Roth nicht überleben sollte, war es das alles trotzdem wert gewesen - allein schon darum, weil er wieder so mit Claire zusammen sein durfte und weil er so die Gewissheit hatte, dass Roth ihr nie wieder etwas antun konnte.
„Wirklich zu schade, dass ich dir keine von diesen Pralinen abgeben kann“, sagte sie und biss in eine, als sie neben ihm ins Haus segelte. Er schloss die Tür hinter ihnen, knipste die Lichter für sie an und beobachtete das geschmeidige Schwingen ihrer Hüften in dem figurbetonten schwarzen Rock. Dieser Anblick hatte ihn fast die ganze Nacht verrückt gemacht.
„Bist du sicher, dass ich dich nicht überzeugen kann, wenigstens ein winziges bisschen zu probieren?“
Er überbrückte die Entfernung zwischen ihnen in der Zeit, die sie für ein Blinzeln brauchte. Er küsste sie, fuhr mit seiner Zunge an ihren Lippen vorbei und in die köstliche Wärme ihres Mundes. Die Schokolade war bittersüß, aber nicht annähernd so verlockend wie das Gefühl, sie in seinen Armen zu halten.
„Lecker“, murmelte er an ihrem Mund. „Ich glaube, ich werde dich einfach vernaschen müssen.“
Sie lachte und gab ihm einen neckenden Stups, aber als sie zu ihm aufsah, glänzte Interesse in ihren Augen. „Machen wir einen kleinen Spaziergang am Ufer.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich habe eine bessere Idee.“
„Oh ja, kann ich mir vorstellen.“
Er lächelte und streichelte sanft ihre erhitzte Wange. „Würdest du was für mich tun?“
Auf ihren fragenden Blick nahm er sie an der Hand und führte sie an den mit einer Stoffhülle abgedeckten Flügel. „Spiel für mich, Claire.“
„Ach, ich weiß nicht...“ Sie wand sich und runzelte die Stirn, als er das riesige Stück Stoff herunterzog und den schimmernden schwarzen Steinway enthüllte. „Es ist schon so lange her, dass ich gespielt habe. Ich bin sicher schrecklich aus der Übung. Und außerdem wurde dieser Flügel sicher seit Jahren nicht mehr gestimmt.“
„Bitte.“ Er ließ sich nicht abschrecken. Schon in wenigen Stunden würden sie Newport wieder verlassen - sobald er ihr diese Neuigkeit beigebracht und den Orden angerufen hatte, damit sie ihnen einen Wagen schickten - , und er konnte nicht wissen, ob dies nicht einer ihrer letzten gemeinsamen Augenblicke war. Selbstsüchtig oder nicht, er wollte diese besondere Nacht mit Claire bis zum letzten Moment auskosten. „Spiel einfach irgendetwas, es muss ja nicht perfekt sein. Ich will nur deine Musik wieder hören. Tu's für mich.“
„Für dich“, erwiderte sie, und auf ihrem Gesicht breitete sich ein langsames Lächeln aus. Dann zog sie sich den Klavierhocker heran und setzte sich. „Na gut.
Aber beschwer dich nicht, wenn du Ohrenbluten bekommst.“
Er gluckste. „Da mache ich mir keine Sorgen. Spiel, Claire.“
Sie hob den Deckel, dann seufzte sie nachdenklich und ließ die Hände über den Tasten schweben.
Sie hypnotisierte ihn schon mit den ersten Klängen. Er kannte das Stück nicht, das sie spielte, aber es war wunderschön - tief bewegend, traurig und ergreifend. Jeder einzelne Ton sprach von einem gebrochenen Herzen, eine lyrische Regung so tief und emotional, dass er einfach nur dastehen und sich von der Musik wie von einer Welle überströmen lassen konnte... sie floss mitten in ihn hinein.
Als er sie beobachtete, wie sie das Stück auswendig spielte, spürte er auch die Tiefe ihrer eigenen Reaktion auf die Musik. Sie durchlebte sie beim Spielen, jedes Motiv voller Bedeutung. Er erkannte, dass das wunderbare Stück ihre eigene Komposition war. Es war aus Claires eigenem Herzen gekommen - aus ihrer eigenen Seele.
„Das hast du geschrieben“, sagte er leise, als der letzte Ton verklang.
Sie sah mit glänzenden Augen zu ihm auf. „Als du fort warst, war Musik eine Weile lang das Einzige, was ich noch hatte. Ich habe damals mehrere Stücke geschrieben, einschließlich diesem hier. Es ist einfach... ich weiß nicht... aus mir herausgeströmt, in den ersten Wochen nachdem du fort warst.“
Reichen näherte sich ihr langsam, zutiefst bewegt von alldem, was er in der Gegenwart dieser Frau hörte und empfand.
„Es ist unglaublich, Claire. Du bist unglaublich.“
Er setzte sich neben sie auf die kleine Klavierbank und sah in ihre dunklen Augen, seine Finger streichelten ihre glatte, makellose braune Haut.
Als er sie dieses Mal küsste, geschah es nicht mit sengendem Hunger, sondern unendlicher Sorgfalt und Andacht. Er hielt sie in den Armen, als wäre sie aus Glas, liebkoste ihren Mund mit solcher Ehrfurcht, als wäre er die seltenste Delikatesse.
Er liebte sie.
Auch wenn er es nicht einmal sich selbst hatte eingestehen wollen - nun sah ihm die Wahrheit mitten ins Gesicht.
Er liebte diese Frau, auch wenn sie nicht ihm gehörte.
Auch wenn er nicht gut genug für sie war, es nie gewesen war. Das war das Einzige, womit Roth vor all diesen Jahren recht behalten hatte.
„Er weiß über uns Bescheid“, platzte Claire leise heraus, als Reichen sie in seinen Armen hielt. „Er weiß, dass wir zusammen waren... dass ich jetzt mit dir zusammen bin.“
Es versetzte ihm keinen Schock, das zu hören.
Roths Blutsverbindung mit Claire musste ihm verraten haben, wo sie war. Das leichte angstvolle Zittern in ihrer Stimme war es, das Reichens Blut zum Sieden brachte. „Was ist passiert? Hat er dir etwas getan?“
„Als wir uns letzte Nacht geliebt haben, hat er mich spüren lassen, dass er über meine Untreue Bescheid weiß. Ich weiß nicht, was er getan hat, aber die Schmerzen, die er mir geschickt hat, waren nur allzu deutlich.“
„Du hast es mir nicht gesagt.“ Reichen schob sie von sich und blickte ihr fest in die Augen. „Warum hast du mir das verheimlicht?“
„Weil man nichts dagegen machen kann, Andre.“
„Und ob, verdammt“, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sobald ich weiß, wo der Bastard sich versteckt, werde ich allerdings etwas dagegen unternehmen.“
Claire zuckte zusammen und schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe Angst, was er dir antut. Er wird dich töten, wenn er kann. Das musst du wissen. Es ist doch naheliegend, dass auch er es gewesen ist, der damals versucht hat, dich in Hamburg ermorden zu lassen. Er war im Dunklen Hafen, nachdem wir uns gestritten hatten. Ich habe geweint, als ich ins Haus ging. Ich habe ihm erzählt, was passiert ist - dass ich mir nichts so sehr wünschte, als dass du mich als deine Gefährtin willst. Ich habe ihm alles gesagt, Andre. Ich habe mich bei ihm ausgeweint, und als Nächstes warst du verschwunden. Damals habe ich den Zusammenhang noch nicht gesehen, aber jetzt...“
Reichen zog sie an sich und drückte einen Kuss auf ihren Scheitel. „Du hast nichts Falsches getan. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass der Angriff auf mich zu persönlich und gewalttätig war, um Zufall zu sein. Es geht ihm vielleicht nicht einmal darum, dass wir zusammen sind. Aber ob Roth dabei die Hand im Spiel hatte oder nicht, ist unwichtig. Es war doch das Endresultat - meine plötzliche Verwandlung auf dem Acker - , die mich von dir weggetrieben hat. Das ist das Einzige, was mich von dir wegtreiben konnte.“
Sie schlang die Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. „Es tut mir so leid. Alles, was er dir angetan hat. Deine Familie, deine Freundin in Berlin, die er zur Lakaiin gemacht hat... Oh Gott, Andre. Es tut mir so leid, was du alles durchmachen musstest.“
Reichen brachte sie sanft zum Schweigen und hielt sie fest in den Armen. „Das ist eine Sache zwischen Roth und mir. Du hast keine Schuld. Was mit mir geschehen ist, ist nicht von Belang. Aber meine Familie verdient Gerechtigkeit. Und auch Helene.“
Claire schwieg lange, dann fragte sie leise: „Hast du sie sehr geliebt?“
Er dachte an Helene und ihr starkes Band von Vertrauen und Verständnis. Sie war eine bemerkenswerte Frau gewesen, die ihm mehr bedeutet hatte als all die anderen auf der langen Liste seiner zwanglosen, unverbindlichen Affären. Sie so zu sehen, all ihrer Menschlichkeit beraubt, hatte ihn beinahe umgebracht. Aber genauso schlimm war es gewesen, dass er selbst ihrem Leben ein Ende setzen musste - nachdem Roth sie als leere Hülle zurückgelassen, ihren Geist versklavt hatte, um seine bösartigen Befehle auszuführen.
„Sie hat mir sehr viel bedeutet“, gab er zu. „Ich habe sie geliebt, so gut ich konnte. Aber mein Herz konnte ich ihr nicht geben, denn das war schon an eine andere verloren.“
Claire entzog sich seiner Umarmung und sah zu ihm auf.
„Das bist immer du gewesen, weißt du.“ Er hielt ihr Gesicht in seinen Händen. „Ich war die ganze Zeit in dich verliebt.“
Sie schloss lange die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, schwammen sie in Tränen.
„Oh Andreas. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.“
Mit einem Knurren, das er nicht zurückhalten konnte, fing Reichen ihren Mund in einem besitzergreifenden Kuss. Als sie beide vor Begehren keuchten, schob er die Klavierbank zurück und stellte Claire vor sich hin. Es gab einen grellen Misston, als Claire sich gegen die Tasten des Flügels lehnte. Er zog ihr den langen Rock bis über die Schenkel hoch.
„Verdammt, Claire“, zischte er durch seine riesigen Fänge. „Du trägst kein Höschen.“
Sie lächelte ihn keck an. „Überraschung.“
Wenn er das gewusst hätte, wären sie vorhin erst gar nicht aus dem Haus gekommen.
Ausgehungert nach ihrem Geschmack, vergrub er den Kopf zwischen ihren Beinen und plünderte ihre Süße. Sie klammerte sich an ihn, vergrub die Finger in seinem Haar. Er küsste sie unbarmherzig, wollte spüren, wie sie an seinem Mund kam. Als sie sich wand, unter einem wilden Orgasmus stöhnte und seufzte, griff er nach seinem Reißverschluss und befreite seinen tobenden Schwanz.
Er stand von der Bank auf und zwängte sich zwischen ihre herrlichen Schenkel. Am liebsten wäre er sofort in sie eingedrungen, aber sie sah zu verlockend aus, um sich zu beeilen, ihr Geschlecht gerötet und saftig, ihr lockiges dunkles Schamhaar wie nasse Seide. Er nahm seinen Schwanz in die Hand und ließ seine Eichel spielerisch über ihre glitschige Spalte gleiten, weidete sich an ihrem atemlosen, lustvollen Wimmern.
Es war eine Folter, die ihn zuerst brach. Kurz davor, zu kommen, allein schon dadurch, wie sie sich anfühlte, bewegte er die Hüften und drang in sie ein.
Ihre samtige Scheide umgab ihn wie schmelzflüssige Hitze, schluckte ihn von der Eichel bis zu den Hoden.
Er begann zu stoßen, zuerst langsam, immer noch in dem Wahn, dass er Claire mit Geduld lieben konnte.
Ihr Körper wrang ihn aus, seine heiße, nasse Reibung trieb ihn zu einem drängenderen Tempo. Er konnte nicht aufhören. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten, keine Sekunde länger.
Er biss die Zähne zusammen, und mit einem wilden Brüllen explodierte er tief in sie hinein. Sie kam gleichzeitig, ihre Fingernägel ritzten seine Schulter, als sie von ihrem eigenen Orgasmus aufschrie. Er murmelte ihren Namen wieder und wieder, sein Schwanz hart wie Marmor, selbst als die letzten Schauder seines Orgasmus ihn durchzuckten.
Er blickte auf sie hinunter, wie immer tief bewegt von ihrer exquisiten Schönheit. Er liebte den Anblick ihrer beiden Körper zusammen, den Kontrast ihrer Haut, wie perfekt sie zusammenpassten, wenn sie vereinigt waren. Und er liebte den würzigen, warmen Duft ihres Blutes, besonders, wenn er sich mit dem moschusartigen Parfüm ihrer Erregung mischte.
„Ich will nicht, dass diese Nacht vorübergeht“, murmelte er und sah ihr in die fesselnden dunklen Augen. „Ich will dich nicht loslassen.“
„Dann tu's nicht.“ Sie schlang ihre Arme etwas fester um ihn. „Dieses Mal lasse ich dich nicht gehen.“
Er lächelte, innerlich zerrissen von Bedauern und Pflichtgefühl. Er hatte an diesem Abend mindestens ein halbes Dutzend Mal vorgehabt, ihr zu erklären, dass ihre Zeit in Newport vorüber war. Er wollte es ihr auch jetzt wieder erklären, aber stattdessen verlor er sich in ihren Augen und der berauschenden Lust ihres Körpers.
„Dann wollen wir beide nicht loslassen“, sagte er und küsste sie. „Noch nicht.“
„Ja“, sagte sie und bewegte aufreizend die Hüften an ihm. Sie starrte zu ihm auf, ihr Blick intensiv und flehend. „Würdest du heute Nacht auch etwas für mich tun, Andre?“
Er grunzte und senkte den Kopf, um die zarte Haut unter ihrem Ohr zu schmecken. „Alles, was du willst.“
„Liebe mich noch einmal, wie du es tun würdest, wenn wir wirklich ein Paar wären.“
Er hob den Kopf und sah sie mit einem Stirnrunzeln an.
„Trink von mir“, sagte sie und streichelte sanft und liebevoll sein Gesicht. „Lass mich glauben, dass wir zusammen sind wie ein richtiges, blutsverbundenes Paar. Nur heute Nacht.“
Gott, der Gedanke allein durchzuckte seine Venen wie ein feuriger Blitz. Er spürte, wie seine Glyphen sich mit den Farben des Hungers füllten und seine Fänge sich noch weiter ausfuhren.
„Ich will, dass du es tust“, sagte sie, eine sanfte Forderung. „Trink von mir, als ob ich wirklich dir gehören würde.“
Mit einem wüsten Fluch fuhr er zurück und kämpfte gegen die Gier an, die ihn durchzuckte. Aber dann neigte Claire den Kopf zur Seite und zog ihr Haar von ihrem Hals, und er war verloren.
Mit einem primitiven Knurren stürzte er sich auf sie, seine Fänge suchten ihre Vene, und sein Schwanz drang aufs Neue tief in ihre willkommen heißende Hitze ein.
Der Geschmack ihres süßen, warmen Blutes flutete in seine Sinne wie eine tosende Welle. Ein besitzgieriges Knurren entwich ihm, als er hart an ihrem Hals saugte. Noch konnte er ihr nahe genug sein, als er Claire fest an sich presste und sich ganz in ihr vergrub. Seine Stöße wurden hart und schnell, jetzt konnte er nicht mehr sanft sein, wenn ihr Blut ihn aufputschte wie eine mächtige, berauschende Droge.
Eine solch primitive, instinktive Vereinigung hatte er noch nie erlebt.
Sie verblüffte ihn.
Sie beschämte ihn.
Besonders weil er sich nichts sehnlicher wünschte, als sich Claire auf die gleiche Weise zu geben. Was er aber nicht konnte, weil sie schon an einen anderen Mann gebunden war. Reichen konnte ihr zwar seine Vene anbieten, aber ihre Blutsverbindung mit Wilhelm Roth bestand weiter, egal, wie viel sie von ihm trank.
Aggression und Wut flackerten in Reichens Eingeweiden beim Gedanken daran, dass ein anderer Mann Ansprüche auf Claire hatte. Dass es ausgerechnet Roth war, nährte die Wut nur umso stärker, die kurz davor war, in ihm aufzuflammen.
Nein, dachte er wild, blockte die Hitze ab, die so begierig auf sein Kommando wartete.
Reichen richtete all seine Konzentration auf Claire, blendete alles aus außer ihrem starken Pulsschlag auf seiner Zunge und dem sanften Druck ihres Geschlechtes um seinen Schwanz. Er genoss ihre leisen Lustschreie, als sie kam, prägte sich jede Wallung und jedes Beben ein, das ihren Körper erfasste, als er sie wieder und wieder zum Höhepunkt brachte. Er wollte, dass diese Nacht und ihre Zeit zusammen nie zu Ende gingen.